Der Tod eines Freundes

Ich fange nun  bestimmt zum 20. Mal an, diesen Beitrg zu schreiben. Tausende Gedanken gehen durch meinen Kopf – Was schreibe ich?   Halten mich alle dann für verrückt? Es ist doch „nur“ eine Katze.

Ja, es stimmt – Socke war eine Katze; genauer gesagt, ein Kater. Aber er war auch so viel mehr. Für mich.

Sein Leben begann im Juli 2012 in Zacharo, Griechenland.  Kurz zuvor hatten wir unsere langjährige Begleiterin einschläfern lassen müssen und wir  wussten bereits, dass bei unseren Freunden gerade junge Kätzchen auf die Welt gekommen waren. Ich war sehr skeptisch, denn eine Katze aus Griechenland mit nach Deutschland nehmen ist schon ein irrer Aufwand. Impfung, Chippen,  Transport im Auto und auf der Fähre… Aber wir haben es auf uns zukommen lassen.
Wir waren kaum angekommen, als schon  das erste Häuflein Fell auf mich zugerannt kam. So als ob sie direkt auf uns gewartet hätte. Bei näherer Betrachtung war es aber sogar mehr Häuflein als Fell, denn „Gizmo“ war die Kleinste aus dem ganzen Wurf und so klein, dass sie ohne weiteres in meiner Hand schlafen konnte. Ohne auch nur  den Hauch einer Chance war für mich schon eine erste Entscheidung getroffen. Wenn wir ein neues Familienmitglied mitnehmen, muss  sie mit dabei sein.

Insgesamt ist aus dem „Schaun wir mal“ ein drei-wöchiges Katzen-Casting geworden, in dem wir uns immer wieder entschieden, um-entschieden, grundsätzlich verworfen, eine(r) oder alle fünf. Kurzum, es hat gedauert,  aber dann ist unsere Entscheidung gefallen und wir haben Gizmo und Socke mit nach Hause genommen. Glücklicherweise konnten wir in Zacharo einen sehr günstigen Tierarzt finden, der beide Würmchen mit einem Chip versehen hat und einen EU-Reisepass ausgestellt hat. Den Katzenkorb haben wir von unseren Freunden bekommen und  auch einige Probefahrten haben wir mit dem Auto unternommen, bevor es dann in das neue Zuhause für die beiden ging.

Der Anfang für die beiden bei uns muss für die beiden ziemlich hart gewesen sein, denn schon Anfang Oktober gab es den ersten Schnee und sie hatten noch nicht wirklich ein Fell, dass erwähnenswert gewesen wäre.

Sie haben sich aber trotzdem wunderbar bei uns eingelebt und gekuschelt wurde weiterhin unheimlich viel. So wenig Nähe unsere Nicki zuvor gesucht hat, sie hat mehr auf Sado-Maso-Spielchen gestanden, so unglaublich verspielt und verschmust waren Gizmo und Socke. Socke zwar zunächst etwas zurückhaltend und viel unterwegs, sogar in der ersten Sylvesternacht, Gizmo hat uns aber immer begrüsst, sobald wir nach Hause gekommen sind, war nie weit vom Haus entfernt und immer zum kuscheln aufgelegt.

Der erste Schreck

So viele Gedanken gehen  nun durch meinen Kopf. „Der erste Schreck“… Welcher war das? Als er, gerade drei Monate bei uns,  an Sylvester kurz vor Mitternach in den Garten raus ist und nicht mehr zurückkam? Wir die ganze Feier sausen ließen und mit unseren Nachbarn bis nach ein Uhr gesucht haben und er dann ganz seelenruhig  angestapft kam. Einen so unschuldigen Gesichtsausdruck demonstrativ zur Schau getragen, dass wir alle lachen mussten?

Oder die fünf Tage, als er gar nicht mehr kam.  Sonst so pünktlich, wie ein Uhrwerk. Morgens um sieben und  Abends um halb 10 immer vor der Terrassentür um sein Stangerl abzuholen… Ich wollte es erst nicht zugeben, aber ich bin mit dem Auto und dann zu Fuß die Straßen abgelaufen, die Feldwege  rauf und runter und habe nach ihm gerufen, mir Sorgen gemacht und  bin in der Nacht immer wieder aufgewacht, runter gegangen und in den Garten geschaut, ob er nicht doch wieder da ist. Dann dieser Tag an dem die Temperatur von 20 Grad auf vier Grad gefallen ist und es dermaßen regnete, dass man von der Terrasse  die Straßenlaterne  gerade noch erahnen konnte. Aus dem Augenwinkel hab ich eine Bewegung auf der Terrasse gesehen, konnte es aber nicht wirklich fixieren.  Mal nachsehen… Und tatsächlich – Socke  – so durchnässt, dass ich ihn nicht einmal erkannt habe. Sein flauschiges Fell war bis auf die Haut so nass, er war so abgemagert, dass das Wasser in seinem Fell mehr wog, als der Kater darunter. Was war ich erleichtert…

Oder der Tag, an dem ich im HomeOffice war und mir Socke so komisch vorkam. Ganz flacher Atem, rasender Puls, seine sonst so leuchtende und vor allem nasse Nase, knochentrocken und bläulich verfärbt. Ich bin mit ihm sofort zum Tierarzt gefahren und die Diagnose war eine Katastrophe: Die Lunge voll Blut, die Leber entzündet, die Nieren arbeiten kaum noch – Rattengift.  Eine Woche blieb er auf Intensivstation, 100% Sauerstoff, immer wieder das Blut kontrolliert. Aber er hat es geschafft. Mein Socke…

Oder der Tag, an dem auch bei ihm der Urin zu tropfen begann. Seit der Vergiftung ging er nie mehr weit weg, war immer in unserer Nähe und hat vor allem auch Nähe gesucht.

Die Dornenkrone

Erst wollte ich es nicht wahrhaben.  Socke begann dieselben Symptome zu zeigen wie seine Schwester Gizmo zwei Jahre zuvor. Er verlor immer mehr Urin,  mit der Zeit entzündete sich sein Hinterleib, Er konnte nicht mehr springen, manchmal nur unter Schmerzen laufen. Aber er genoss das Leben. Er war immer bei uns, suchte immer unsere Aufmerksamkeit. Heute, fast drei Monate nach seinem Tod, höre ich noch immer seine Stimme. Wenn ich mich auf die Couch setze, möchte ich noch immer rufen „Socke, komm kuscheln“. Füllen noch immer Tränen meine Augen, wenn ich diese Zeilen schreibe.

Wir habe viel versucht. Alles? Nein, bestimmt nicht. Ich habe den Zeitpunkt immer weiter vor mir hergeschoben. So weit, dass die Beziehung zu meiner Frau drohte, daran zu zerbrechen. Aber es stimmte, das Haus roch wie ein Bahnhofsklo, die Couch stank, wir konnten schon lange niemanden mehr einladen…. Aber er war doch mein Socke!

Am 1. Februar habe ich den Anruf gemacht. Ich habe darum gebeten, ihn bei uns zu Hause einzuschläfern. Ich wollte nicht, dass er diese Angst durchleben muss, wenn er mit zum Tierarzt fahren muss um im Vorzimmer warten zu müssen  ermordet zu werden.  In der Nacht zuvor konnte ich nicht schlafen, Mein Freund soll getötet werden. Wann ist der Zeitpunkt gekommen? Wer zum Teufel soll diese Entscheidung treffen?

Der Boden ist gefroren und trotzem hole ich einen Spaten und gehe zu den anderen Gräbern. Nicki und Gizmo liegen hier und werden bald zu dritt sein. Ich schlage wild mit dem Spaten in den Boden. Gefroren. Bestimmt 15 Zentimeter. Meine Handgelenke schmerzen, aber ich mache weiter. Tränen lassen meine Augen verschwimmen, aber ich mache weiter. Andrea kommt vorbei und fragt „Was machst denn Du da?“ – „Ein Grab ausheben“ – Ich mache weiter.  Das Loch sieht so kalt aus, so  unfair. Ich gehe zu dem ausgemusterten Weihnachtsbaum und schneide Zweige ab. Socke liegt vor dem Fenster und sieht mir zu. Damit polstere ich das Grab… In mir schreit es. Ich will die Welt erschlagen – er hat es nicht verdient. Was bin ich für ein Mensch? Er hat es nicht verdient.

Ich gehe wieder in das Haus und wasche meine Hände. Ich habe immer das Bild im Kopf, wie mir Socke zusieht als ich die Zweige abschneide.  Ich gehe zu ihm und streichle ihn. Er dreht sich auf den Rücken und genießt meine Hand auf seinem Bauch, an seinem Hals. Dann reißt er die Augen auf und sieht mich an. Er hat die Erde gerochen. Er ist hält still und sieht mich nur an… Mein Magen verkrampft sich und ich fange zu weinen an. Ich gehe…

Der Tod

Ich habe immer gesagt, dass ich nicht dabei sein will, wenn Socke eingeschläfert wird. Getötet wird. Doch es ist anders. Die Vorstellung, dass er alleine gehen muss, dass er nicht bei mir sein darf, wenn er stirbt , hat mir in der letzten Nacht keine Ruhe gelassen.

Sie kommen. Zwei. Zwei Frauen. Eigentlich sind sie ja nett, aber sie bringen heute den Tod. Socke verhält sich normal, ich gebe ihm ein Stangerl und die Ärztinnen unterhalten sich mit uns. Versuchen nach Gründen zu suchen, versuchen es und leichter zu machen, versuchen uns die Entscheidung mit Gründen zu erleichtern. Egal was sie sagen, sie spüren, dass ich ihn nicht gehen lassen kann. Mein Hals fühlt sich an, als würde ein Eisenseil meinen Kehlkopf eindrücken.  Socke gibt sich noch immer normal…

Wir breiten eine Decke vor der Couch und langsam spürt Socke, was hier passiert. Hat er sich eben noch streicheln lassen und ist auch zu den Ärzten gegangen versucht er nun zu flüchten. Er will unter die Couch. Er fühlt sich sicher dort. Ich fange ihn ab. Ich halte ihn fest. Ich spüre es in jeder Zelle – er will nicht sterben. Doch ich halte  ihn, ich lasse ihn nicht aus und er bekommt die erste Spritze. Es dauert lange, bis er einschläft. Er wird immer unruhiger und erbricht das Stangerl, das ich ihm vorher noch gegeben habe. Es ist so ungerecht, so unfair. In mir schreit alles und ich frage, „kann man es noch stoppen?“ Ja, es wäre möglich – ohne Schäden.

Doch ich bin zu feige. Ich traue mich nicht zu sagen „Nein, ich weiß, dass es für uns schwer ist, dass die Wohnung stinkt, dass die Belastung hoch ist – ABER ER HAT ES NICHT VERDIENT!“ Ich schweige… Und ich hasse mich dafür.

Ich halte ihn im Arm. Spüre seinen Atem, Sehe die zweite Spritze und wie sie gegeben wird. Ich streichle ihn, spüre seinen warmen Speichel  wie  er über meine Finger läuft. Ich spüre wie er stirbt. Seine Beine zucken, sein Körper krampft. Ich weiß, er ist tot… Ich hasse mich…

2 Gedanken zu „Der Tod eines Freundes“

  1. Hallo Oliver

    Ich habe gerade auf deine Seite geschaut und diese Geschichte von Socke gelesen. Es war so ergreifend für mich das zu lesen da ich bald auch vor so einer Entscheidung stehen werde. Mord-aber zum Wohle des Tiere. Wir dachten auch es wäre schon einige male so weit aber bis jetzt haben wir es noch aufhalten können.
    Danke und viele Grüsse bently 92

    1. Hi. Hab gerade deinen beitrag gelesen. Auch ich hatte einen kampfkuschler aus zacharo. Nannte ihn auch so. Ende mai ist er über die regenbogenbrücke gegangen. Er wurde nicht mal 6 jahre alt. Musste an leukose sterben trotz impfung. Die katzen von dort sind ganz besonders. Mfg pp

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